Erst Absturz, dann Kaufkurse an der Börse?

Erst Absturz, dann Kaufkurse an der Börse?

Anfang Oktober kam es an der Wall Street zu einer starken Aufwärtskorrektur, die Kurse legten plötzlich spürbar zu. Eine Trendwende stellt das wahrscheinlich noch nicht dar. Es dürfte noch einmal schlechter werden, bevor es dann besser wird.

Dass, was die Aktienmärkte Anfang Oktober waren, nennen die Börsianer „überverkauft“. Damit ist gemeint, dass einzelne Aktien oder auch ganze Aktienmärkte lange Zeit stark gefallen sind. Der amerikanische Aktienindex S&P 500, der die 500 größten in den USA notierten Aktiengesellschaften umfasst, ist auf Sicht der zurückliegenden sechs Monate um 16 Prozent gefallen. Und die Wall Street in New York gibt nach wie vor für die anderen Börsen die Richtung vor.

Steigende Energiekosten, galoppierende Inflationsraten und eine absehbare Rezession ziehen derzeit in den USA und anderen Ländern die Stimmung nach unten. Man könnte fast meinen, dass sogenannten Börsen-Sentiment ist derzeit zu 130 Prozent negativ. Das bedeutet, dass das Gros der Anleger sich von ihren Aktienbeständen bereits getrennt haben dürften. Vielmehr dürfte vor allem ein Teil der Profis die noch bestehenden Depots abgesichert oder sogar auf weiter fallende Kurse gewettet haben.

Wenn dann, aus welchem Grund auch immer, eine Gegenbewegung kommt, müssen sie umgehend die entsprechenden Aktien kaufen, um mit ihren falsch gelegenen Wetten nicht noch höhere Verluste einzufahren. Profis nennen so etwas „short squeeze“. Die Shorties, die auf fallende Kurse gesetzt haben, werden gewissermaßen ausgequetscht.

Diese Gegenbewegung vom 3. und 4. Oktober könnte man auch als „Pyjama-Squeeze“ bezeichnen. Denn sie startete an diesen beiden Tagen, bevor die Wall Street überhaupt mit dem Handel begann. Viele Shorties dürften also, bildlich gesprochen, noch im Pyjama vorm Rechner gesessen haben, und im vorbörslichen Handel gekauft haben.

Noch keine Trendwende

Jetzt stellt sich die Frage: War das bereits der Start eines neuen Bullenmarktes, in dem die Kurse wieder länger steigen. Oder handelte es sich um eine Gegenbewegung in einem weiter fallenden Bärenmarkt, also um eine sogenannte „Bullenfalle“. Leider spricht einiges für Letzteres. Im März stieg der S&P schon einmal um rund 15 Prozent, Mitte Juni bis Mitte August sogar um circa 17 Prozent. Doch danach ging es beides Mal wieder deutlich bergab.

Derzeit hängt die weitere Entwicklung an den Aktienmärkten von der Geldpolitik der Notenbanken ab. Wie stark sich die Börsianer derzeit nach deren Entscheidungen richten, hat sich am 4. Oktober gezeigt. Da erhöhte die australische Notenbank ihren Leitzeins um 0,25 Prozent und damit etwas weniger als erwartet. Anleger interpretierten das als Zeichen, dass es bald mit der restriktiven Geldpolitik wieder vorbei sein könnte. Normalerweise schert sich kaum ein Investor in Europa oder den USA um die australische Notenbank. Doch diesmal reichte der Zinsentscheid als Anlass aus, um den S&P 500 nur an diesem einen Tag um drei Prozent nach oben zu treiben.

Jetzt kommt es nicht unbedingt auf die Geldpolitik der australischen Währungshüter an. Nach wie vor gibt die amerikanische Notenbank Fed den Takt vor. Diese hatte zuletzt die Leitzeinsen um 0,75 Prozent auf drei bis 3,25 Prozent erhöht. In diesem Jahr stehen noch zwei weitere Sitzungen der Fed statt. Die Anleger gehen derzeit mehrheitlich davon aus, dass die Leitzinsen dann am Jahresende bei 3,75 bis vier Prozent liege könnten.

Keine weiteren Erhöhungen in 2023

Es besteht die leise Hoffnung, dass die Fed dann zu dem Schluss kommt, dass das dann erreichte Zinsniveau ausreicht, um die Inflation wieder in den angepeilten Bereich von zwei Prozent runterzuschleusen. Basiseffekte dürften im nächsten Jahr dafür sorgen, dass die Teuerungsrate wieder nach unten dreht. Wenn sich tatsächlich abzeichnen sollte, dass Ende dieses Jahres in den USA mit den Zinserhöhungen Schluss ist, würde höchstwahrscheinlich die Wall Street erleichtert mit deutlichen Kursgewinnen reagieren.

Doch so weit ist es noch nicht. Zwei Dinge fehlen noch. Erstens erste Signale der Fed in absehbarer Zeit den Fuß zumindest etwas von der Bremse zu nehmen. Und an den Aktienmärkten steht noch der finale Ausverkauf an. Erst wenn alle Anleger, die noch Papiere verkaufen wollten, aus dem Markt raus sind, ist dieser bereit für wieder steigende Kurse. Die Kapitulation könnte es angesichts der ausgesprochen schwierigen Rahmenbedingungen und der abgrundtief miesen Stimmung schon bald geben. Das wären dann wieder Kaufkurse.

Die 25.000 Euro-Frage

Bis die Trendwende tatsächlich einsetzt, sollten Anleger, die beispielsweise über liquide Mittel in Höhe von 25.000 Euro verfügen, auf ein sogenanntes „All-Wetter-Portfolio“ setzen. Dieses besteht zu 25 Prozent aus Cash, um bei niedrigeren Kurse Aktien umfangreich nachkaufen zu können. Ein weiteres Viertel käme für Anleihen infrage. Vor allem in den USA könnten die Zinsen wieder fallen, da sie für ein Rezessionsszenario eigentlich zu hoch sind. Die Folge wären steigende Kurse. Auch Aktien sollten mit einem Anteil von 25 Prozent bedacht werden. Dann sind Anleger mit dabei, wenn die Trendwende doch früher als erwartet einsetzt. Und die letzten 25 Prozent sollten auf Gold als ultimativer Versicherung gegen tiefe Verwerfungen an den Finanzmärkten entfallen. Mit einem solchen All-Wetter-Portfolio dürften Anleger auch für einen stürmischen Herbst an den Börsen gewappnet sein.

Michael Wittek leitet unser Portfoliomanagement und ist für die Anlegestrategie verantwortlich.
ntv Logo
Veröffentlicht als Gastkommentar
am 06. Oktober 2022 auf n-tv.de

Disclaimer:
Diese Publikation dient nur zu Informationszwecken und zur Nutzung durch den Empfänger. Sie stellt weder ein Angebot noch eine Aufforderung seitens oder im Auftrag der Albrecht, Kitta & Co. Vermögensverwaltung GmbH zum Kauf oder Verkauf von Wertpapieren oder Investmentfonds dar. Die in der vorliegenden Publikation enthaltenen Informationen wurden aus Quellen zusammengetragen, die
als zuverlässig gelten. Die Albrecht, Kitta & Co. Vermögensverwaltung GmbH gibt jedoch keine Gewähr hinsichtlich deren Zuverlässigkeit und Vollständigkeit und lehnt jede Haftung für Verluste ab, die sich aus der Verwendung dieser Information ergeben.