Die Wall Street steckt in der Zwickmühle

Die Wall Street steckt in der Zwickmühle

Die weitere Entwicklung an den Aktienmärkten hängt maßgeblich vom Verlauf der anstehenden Gewinnsaison ab. Nach Einschätzung von Michael Wittek wären stabile Gewinne für die Wall Street jedoch auch keine gute Nachricht. Warum, erklärt er hier:

AMD hat schon einmal einen Vorgeschmack geliefert. Der nach Nvidia und Intel drittgrößte Chipproduzent der USA hat am 6. Oktober bekannt gegeben, im dritten Quartal nach vorläufigen Berechnungen 5,6 Milliarden Dollar umgesetzt zu haben. Ursprünglich hatte das Management Verkaufserlöse von 6,7 Milliarden plus/minus 200 Millionen Dollar angepeilt. Auch die Bruttomarge fiel schlechter als ursprünglich angekündigt aus. Die Börsianer reagierten umgehend und schickten die Aktie in den Keller.

Es sieht so aus als befände sich die Chipbranche in einem typischen Schweinezyklus. Noch vor zwölf Monaten hieß es: Diesmal ist alles anders. Ist es aber nicht. Geschichte mag sich nicht wiederholen. Aber sie reimt sich, wie Mark Twain angeblich einmal gesagt hat.

Steigendes Angebot trifft auf sinkende Nachfrage

Aufgrund des zeitweiligen Mangels an Halbleitern haben die Hersteller im großen Stil neue Fabriken aus dem Boden gestampft, selbst in Deutschland. Jetzt gibt es möglicherweise zu umfangreiche Produktionskapazitäten. Gleichzeitig haben die Abnehmer eine Zeit lang größere Mengen bestellt als sie tatsächlich brauchten, um zumindest einen Teil der benötigten Mengen zugeteilt zu bekommen. Wenn sie jetzt aufgrund des gestiegenen Angebots voll bedient werden, müssen sie überschüssige Chips erst einmal auf Lager nehmen und werden künftige Aufträge runterfahren. Ein stark gewachsenes Angebot trifft auf eine sinkende Nachfrage. Was das für die Unternehmensgewinne bedeutet, liegt auf der Hand. Hakle lässt grüßen.

Jetzt lässt sich natürlich einwenden, dass es sich bei Halbleitern um eine spezielle Branche handelt, deren Entwicklung sich nicht auf andere Bereiche übertragen lasse. Das mag sein, aber auch dort sieht es nicht gut aus. Die entscheidende Frage lautet, ob die Unternehmen ihre Kostensteigerungen auf ihre Kunden überwälzen können oder nicht.

Langlebige Konsumgüter wie Autos werden mindestens mittelfristig unter den Kaufkraftverlust der Verbraucher leiden. Das gilt zumindest für Klein- und Mittelklassewagen. Viele Autofahrer werden ihr altes Fahrzeug länger nutzen (müssen). Und dass die Menschen im kommenden Jahr so viel für den Urlaub ausgeben wie in diesem scheint angesichts real sinkender Einkommen auch eher unwahrscheinlich. Die Aufzählung ließe sich fortsetzen.

Wenn die Unternehmensgewinne unter Druck geraten, weil die höheren Kosten nicht im vollen Umfang an die Kunden weitergegeben werden können, kürzen erfahrungsgemäß vor allem die amerikanischen CEOs reflexsartig die Ausgaben für Werbung und Marketing. Hier lassen sich die Kosten einfach und schnell reduzieren und so die Gewinne verteidigen, an deren Höhe sich vor allem in den USA die Gehälter des Managements bemessen. Facebook hat bereits angekündigt, vorerst keine neuen Mitarbeiter mehr einzustellen. Das ist kein gutes Omen.

Wenn die Unternehmensgewinne erodieren, werden natürlich die Bewertungen unter Druck geraten. Das hat bereits begonnen. In Haussephasen kommt der S&P 500 auf ein KGV von 20. Aktuell liegt es bei 16. Befand sich die Wall Street in einer Baisse, wie es derzeit der Fall ist, sanken in der Vergangenheit die Bewertungen auf das 13-Fache des Jahresgewinns. Es besteht also noch Luft nach unten.

Prognosen zu optimistisch

Noch gehen die Analysten davon aus, dass die Gewinne der 50 Unternehmen des S&P trotz des schwierigen Umfelds weitgehend stabil bleiben. In Europa sollen die Profite sogar noch weiter steigen. Daran sind wenigstens Zweifel angebracht. Sollten die Analysten wider Erwarten doch Recht behalten, stellt dies auch kein positives Szenario für die Wall Street dar. Denn dann dürfte der Inflationsdruck nicht nachlassen. Zwar sollten sich im nächsten Jahr zumindest bei den Rohstoffen Basiseffekte bemerkbar machen. Dafür sind Zweitrundeneffekte zu erwarten.

Dies würde wiederum die Fed dazu zwingen, weiter an der Zinsschraube zu drehen. Ein hochrangiger Gouverneur der Notenbank hat bereits klar geäußert, dass es im kommenden Jahr keine Senkung der Leitzinsen gäbe. Doch genau davon gehen die Börsianer aus und haben bereits einen ersten Zinsschritt nach unten für Mitte 2023 eingepreist. Auch hier besteht ein signifikantes Enttäuschungspotenzial.

Die Wall Street steckt also in der Zwickmühle. Sinkende Unternehmensgewinne wären ebenso negativ wie stabile oder steigende. Einen Funken Hoffnung gibt es für die Anleger dennoch. Sollte es jetzt noch einmal zu einer spürbaren Korrektur kommen, am besten wäre ein finaler Ausverkauf, würde das wahrscheinlich für Kaufkurse sorgen. Denn das Sentiment ist schon jetzt extrem negativ. Nach dem Motto „schlimmer geht`s nimmer“ wäre die Wall Street dann reif für eine Jahresendrallye.

Michael Wittek leitet unser Portfoliomanagement und ist für die Anlegestrategie verantwortlich.
Veröffentlicht als Gastkommentar am 14. Oktober 2022
auf dasinvestment.com


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