DIE ERHOLUNG LÄUFT BEREITS

KONJUNKTUR & GEOPOLITIK

DIE ERHOLUNG LÄUFT BEREITS

Corona als GAMECHANGER sorgt dafür, dass sich Gewohnheiten der Menschen dauerhaft ändern. Auf viele lebenswerte Dinge werden wir auch in Zukunft nicht verzichten wollen. Der Tourismus dürfte sich spätestens 2022 spürbar erholen. Er steht symbolisch für einen mehrjährigen Aufschwung in Europa. Noch viel stärker wird China wachsen – nicht zuletzt durch das neu geschlossene Freihandelsabkommen.

Bis Anfang Dezember waren laut Johns Hopkins University weltweit mehr als 64 Millionen Menschen am Virus SARS-CoV-2 erkrankt. Für 1,5 Millionen von ihnen verlief die Infektion tödlich. Um die Pandemie zumindest einzudämmen, verhängten die Regierungen rund um den Globus zum Teil massive Beschränkungen für ihre Bürger. Das führte vor allem in der ersten Hälfte 2020 zu einem heftigen Konjunktur-Einbruch. Doch Regierungen und Notenbanken halten dagegen. Jetzt zeichnet sich eine V-förmige Erholung der wichtigsten Volkswirtschaften ab.

Corona und die verschiedenen Lockdown-Maßnahmen bringen immense negative wirtschaftliche Folgen mit sich: Die Weltwirtschaft erlebte 2020 die schwerste Rezession seit dem Zweiten Weltkrieg. Doch es gibt auch Hoffnung. Die Entwicklung von Impfstoffen ist weit fortgeschritten. Und die Regierungen und Notenbanken unterstützen die Konjunktur mit riesigen fiskalischen Hilfspaketen und einer extrem lockeren Geldpolitik. In vielen Ländern entwickelte sich die Wirtschaft im dritten Quartal schon spürbar besser als in den drei Monaten zuvor.

DEUTSCHLAND: ERST DIE „BAZOOKA“, DANN DER „WUMMS“

Der Schutzschirm, den die Bundesrepublik aufgespannt hat, ist riesig – weit größer als in der Finanzkrise nach 2007. Der Garantierahmen für Kreditprogramme für Unternehmen beläuft sich auf 820 Milliarden Euro, unter anderem über den neu aufgelegten Wirtschaftsstabilisierungsfonds, der allein 600 Milliarden Euro umfasst.

Für Maßnahmen, die im Bundeshaushalt wirksam werden können, hat die Regierung unter Bundeskanzlerin Angela Merkel 353 Milliarden Euro bereitgestellt. Allein das im Juni vorgestellte Konjunkturpaket umfasst 130 Milliarden Euro. Zur Finanzierung dieser Maßnahmen hat Bundesfinanzminister Scholz allein in diesem Jahr 218 Milliarden Euro an neuen Schulden beim Bund eingeplant. Die schwarze Null gehört damit erstmal der Vergangenheit an – ein echter GAMECHANGER also. Diese finanziellen Dimensionen übersteigen alles, was wir in der Vergangenheit erlebt haben – und zwar massiv.

218

Mrd. €

neue Schulden beim Bund

STAATSVERSCHULDUNG STEIGT SIGNIFIKANT

Nach einer Studie des Instituts der Deutschen Wirtschaft wird 2020 die Verschuldung der Bundesrepublik um mehr als 20 Prozentpunkte auf über 80 Prozent des Bruttoinlandsprodukts steigen. Denn der Staat pumpt aber nicht nur Hunderte von Milliarden Euro in die Volkswirtschaft, er nimmt auch spürbar weniger ein.

Doch Deutschland kann diesen finanziellen Kraftakt stemmen. Denn durch die jahrelange und vielfach kritisierte Sparpolitik wurde der staatliche Schuldenberg in den zurückliegenden Jahren deutlich abgebaut. Vor dem Ausbruch der Corona-Pandemie hat Deutschland bei der Staatsverschuldung sogar das Maastricht-Kriterium eingehalten. Daran sollte die 2021 neu zu wählende Regierung wieder anknüpfen, um für mögliche Krisen in der Zukunft erneut finanziell gewappnet zu sein. Doch kurzfristig ist die expansive Ausgabenpolitik des Staates angebracht und zeigt auch Wirkung. Deutschland hat die Corona-Krise zwar noch nicht überwunden, allerdings dürfte das Bruttoinlandsprodukt 2020 mit kalenderbereinigt 5,4 Prozent nicht so stark einbrechen wie ursprünglich befürchtet. Außerdem fällt der Rückgang geringer aus als im gesamten Euroraum. Das hängt vor allem damit zusammen, dass der Aufholprozess bereits in Gang gekommen ist. Die Rettungspolitik des Staates wirkt, hat die Schäden verringert und die Realwirtschaft zeigt sich überraschend widerstandsfähig.

5.4

%

Senkung des BIP 2020 kalenderbereinigt

BALD WIEDER AUF NORMAL

Konjunkturexperten rechnen damit, dass sich die Wirtschaftsleistung in Deutschland schon im Herbst 2021 annähernd auf dem Niveau vor dem Ausbruch der Coronakrise bewegen wird. Ganz offensichtlich hilft das deutsche Konjunkturprogramm, auch wenn viele Maßnahmen erst im kommenden Jahr ihre volle Wirkung zeigen dürften. Beispielsweise sinkt 2021 die EEG-Umlage von derzeit 6,756 ct/kWh auf 6,5 ct/kWh. Das entlastet vor allem stromintensiv produzierende Unternehmen und stärkt ihre internationale Wettbewerbsfähigkeit.

Im Jahr 2020 sind außer den Staatsausgaben nur die Bauinvestitionen gestiegen – und zwar um rund ein Prozent. Das ist auf den ersten Blick nicht gerade viel, aber im Vergleich mit anderen Branchen doch beachtlich. Der Bau profitierte davon, dass er weitestgehend ungehindert von der Virus-Pandemie weiterarbeiten konnte. Zwar schwächten sich die Auftragseingänge zwischenzeitlich etwas ab, doch es setzte schnell eine Erholung ein. Nach wie vor fehlt es vor allem in den Metropolen an bezahlbarem Wohnraum. In Berlin hat der unsägliche und wahrscheinlich verfassungswidrige Mietendeckel die Angebots- und Nachfragesituation zusätzlich dramatisch verschlechtert. Auch bei den Sanierungen besteht erheblicher Nachholbedarf. Wenn die EU die bis 2030 angestrebte Senkung der CO2-Emissionen erzielen will, müssen bestehende Gebäude in einem erheblichen Umfang energetisch saniert werden.

RÜCKENWIND FÜR HÄUSLEBAUER

Bislang zeigt sich der Arbeitsmarkt auch in der Coronakrise vergleichsweise robust. Nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit ist die Arbeitslosenquote im November gegenüber dem Oktober sogar um 0,1 Prozentpunkte auf 5,9 Prozent gesunken. Allerdings befanden sich mehr als eine halbe Million Beschäftigte in Kurzarbeit. Neben der gar nicht so schlechten Lage am Arbeitsmarkt profitiert der Bau weiterhin von den nach wie vor unglaublich günstigen Finanzierungsbedingungen. Außer der privaten Nachfrage liefert weiterhin die Ausgabenpolitik der Gebietskörperschaften Unterstützung.

KRÄFTIGES WIRTSCHAFTSWACHSTUM ERWARTET

Wie kaum ein anderes Land hat der deutsche Staat zur Bekämpfung der wirtschaftlichen Folgen der Virus-Pandemie die „Bazooka“ ausgepackt, wie es Bundesfinanzminister Olaf Scholz nennt. 2021 könnte der erwünschte „Wumms“ folgen. Die jüngsten Konjunktur-Prognosen der Bundesregierung, des Internationalen Währungsfonds und der OECD erwarten beim Wirtschaftswachstum eine Vier vor dem Komma.

EUROPA: NICHT IN AMÜSIERLAUNE – NOCH NICHT

Die Wirtschaft in der Eurozone entwickelt sich halbwegs analog zu der in Deutschland. Allerdings dürften 2020 hier die Covid-19-Schäden höher ausfallen. In ihrem Herbstgutachten rechnet die EU-Kommission mit einem Rückgang der Wirtschaftsleistung um 7,8 Prozent. Das ist dramatisch. Dafür dürfte für 2021 ähnlich wie in Deutschland beim Wirtschaftswachstum eine Vier vor dem Komma stehen. Die EU-Kommission rechnet für 2021 mit einem Plus von 4,2 Prozent und für 2022 mit einem weiteren Anstieg von drei Prozent.

Es dürfte also in Europa etwas länger dauern, bis die Wirtschaft sich von Corona vollständig erholt hat. Es gibt im Wesentlichen zwei Gründe, warum Europa Deutschland hinterherhinkt. Erstens hat es die Bundesrepublik besser verstanden, SARS-CoV-2 einzudämmen. Dazu kommt eine bessere Ausstattung des Gesundheitssystems.

Und zweitens spielt in Deutschland die Industrie noch eine größere Rolle. Diese leidet zwar auch unter Corona, aber eben nicht so stark wie der Dienstleistungssektor, wie es Restaurants und der Tourismus auf drastische Weise verdeutlichen. In Europa ist es also noch zu früh, um die Sektkorken knallen zu lassen. Aber ein Licht am Ende des Tunnels ist auch hier zu sehen.

4.2

%

erwartetes BIP Wachstum in der EU in 2021

USA: GAMECHANGER BIDEN!

Ähnlich wie in Europa erwarten wir 2021 auch in den Vereinigten Staaten einen kräftigen Wirtschaftsaufschwung. Der zentrale Faktor ist wieder einmal der private Konsum, der in etwa 70 Prozent des Bruttoinlandsprodukts ausmacht. Die Ausgaben der Verbraucher profitieren davon, dass die Sparquoten langsam, aber sicher zurückgehen, auch wenn sie sich noch auf einem vergleichsweise hohen Niveau bewegen.

Das hängt auch mit der Erholung am Arbeitsmarkt zusammen. Dazu kommt, dass viele Haushalte finanziell besser dastehen als dies während der Finanzkrise 2008/2009 der Fall war, selbst wenn sie von Arbeitslosigkeit betroffen sind. Grund sind die umfangreichen Konsumschecks und Arbeitslosenhilfen, die die Trump-Regierung verteilt hat. Manche Haushalte haben dadurch trotz Jobverlust mehr Geld in der Tasche als vor der Krise.

DER GEFÜHLTE REICHTUM STEIGT

Dazu kommen die boomenden Immobilien- und Aktienmärkte. Wenn die Haus- und Aktienpreise steigen, fühlen sich die Amerikaner erfahrungsgemäß wohlhabender, auch wenn sie entsprechende Buchgewinne noch gar nicht realisiert haben. Vereinfacht ausgedrückt, sitzt dann bei Joe Sixpack das Portemonnaie wieder lockerer.

Jetzt kommt es darauf an, ob und wenn ja wie schnell es dem neuen Präsidenten Joe Biden gelingt, seine GAMECHANGER-Qualitäten einzusetzen. Er muss zugleich die USA intern und mit seinen Handelspartnern wieder versöhnen. Denn es steht außer Frage, dass die Krawall-Politik Trumps auch die heimische Wirtschaft belastet hat.

BIP Wachstum Jahresraten

Quelle: MarketMap, eigene Darstellung

KAUM ZU FASSEN: CHINA IST DER CORONA-GEWINNER

Es ist schon fast eine Ironie des Schicksals: Die Volksrepublik, von wo aus Corona Anfang 2020 seinen weltweiten Befall gestartet hat, geht gestärkt aus der Viruskrise hervor. Damit verkürzt China, die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt, früher als erwartet den wirtschaftlichen Abstand zur globalen Nummer 1, den Vereinigten Staaten. Dabei müssen wir anmerken, dass Peking schneller als andere Länder die Corona-Pandemie in den Griff bekommen hat, weil es sich hier um eine Diktatur handelt. Die hier verhängten Maßnahmen wären in einer Demokratie nicht denkbar.

Die chinesische Industrieproduktion befindet sich schon seit dem Sommer wieder auf Wachstumskurs und ist damit zum Motor der Konjunkturerholung geworden. Die positive Entwicklung der Einkaufsmanagerindizes zeigt, dass sich dieser Trend fortsetzen wird. Hinzu kommt, dass die heimische Nachfrage noch über Nachholpotenzial verfügt. Und China ist auch im nächsten Jahr ein Garant für eine positive wirtschaftliche Entwicklung.

2.2

Mrd.

Menschen in Freihandelszone

GAMECHANGER RCEP

Das neue Freihandelsabkommen Regional Comprehensive Economic Partnership, kurz RCEP genannt, hat die dominierende Stellung Chinas in Asien noch einmal verdeutlicht. Während der Handelsstreit zwischen China und den USA immer weiter eskalierte, ist im asiatisch-pazifischen Raum die bisher größte Freihandelszone der Welt entstanden. Nach acht Jahren Vorbereitung fand Mitte November die entsprechende Vertragsunterzeichnung beim ASEAN-Gipfel in Hanoi statt. Damit haben sich China, Japan, Südkorea, Australien und Neuseeland mit der südostasiatischen Staatengemeinschaft ASEAN auf eine Freihandelszone geeinigt, in der 2,2 Milliarden Menschen leben, die für rund 30 Prozent des weltweiten Handels sorgen.

Mit der neuen Freihandelszone wird die internationale Handelspolitik zwangsläufig neu geordnet. Bislang dominierten die USA, Europa und China den weltweiten Austausch von Waren und Dienstleistungen. Mit dem Handelsabkommen in der asiatisch-pazifischen Region betritt nun ein Spieler das Spielfeld, der fast genauso groß ist wie Europa. Die EU steht für etwa 33 Prozent des Welthandels – jedoch nur mit etwa 450 Millionen Einwohnern. Dem steht die im Bezug auf den Handel ähnlich große neue Freihandelszone gegenüber. Hier leben allerdings fast fünf Mal mehr Menschen, was ein dramatisch höheres Wachstumspotenzial bedeutet. Es ist daher wohl nur eine Frage der Zeit, bis sich die Machtverhältnisse verschieben – damit besitzt das Abkommen einen richtigen GAMECHANGER-Charakter. Für Brüssel wird es nämlich kompliziert. Es erfordert viel politisches Geschick, damit sich die EU ausreichend Platz zwischen den USA und Asien sichern kann. Es könnte sich jedoch als hilfreich erweisen, dass die USA mit ihrer Entkopplungsstrategie weitgehend gescheitert sind.

FAKTISCH SCHEITERT WASHINGTON IN ASIEN

Unter Trump hatten die Vereinigten Staaten versucht, das amerikanische Handelsdefizit mit China durch Strafzölle zu reduzieren. Gleichzeitig wollte Washington China in eine wirtschaftliche Isolation schicken. Dass das jetzt wohl als gescheitert anzusehen ist, haben sich die Vereinigten Staaten selbst zuzuschreiben. Interessant ist nämlich, dass die USA die Stellung Chinas in Asien letztendlich sogar gestärkt haben – und zwar durch den Austritt aus dem Trans-Pacific Partnership (TPP).

Hierbei handelte es sich um ein Handelsabkommen der Vereinigten Staaten mit einer Reihe asiatisch-pazifischer Länder. Ihr Ziel war es unter anderem, die Vormachtstellung Chinas einzuschränken. Trump ordnete jedoch als eine seiner ersten Amtshandlungen per Dekret den Austritt der USA aus dem TPP an. Mit diesem Schritt läutete der scheidende Präsident den Machtverlust der USA in Asien regelrecht ein.

NEUE KONFLIKTE NICHT AUSGESCHLOSSEN

Vielleicht spielt das Abkommen auch geopolitisch eine entscheidende Rolle. Denn dem RCEP sind unter anderem mit Japan, Südkorea und Australien strategische Partner der USA in Bezug auf deren Sicherheitspolitik beigetreten. Mit Blick auf den amerikanischen Vorwurf, dass einige chinesische Unternehmen eine Gefahr für die nationale Sicherheit der USA darstellen, wird es spannend, wie sich künftig die RCEP-Staaten verhalten. Möglich wäre gewissermaßen ein Seitenwechsel vom Westen in Richtung Osten. Die EU ist durch diese Entwicklung nicht automatisch der lachende Dritte. Denn die Europäer versuchen bereits seit mehreren Jahren, einen besseren Marktzugang und einen höheren Rechtsschutz für Investoren in China zu erreichen – bislang allerdings ohne größeren Erfolg. Der politische Preis hierfür wird durch RCEP sicherlich nicht sinken. Dennoch ist es von Vorteil, dass die EU sich aus dem Handelsstreit der USA mit China herausgehalten hat. Dies kann Brüssel hoffentlich nutzen.

RCEP BESCHLEUNIGT WACHSTUM IN ASIEN

Während die USA den Welthandel unter Trump also zurückgefahren haben, öffnen die asiatischen Staaten ihre Grenzen. Wir erwarten, dass der liberalisierte Außenhandel den RCEP-Mitgliedern 2021 zusätzliche Wachstumsimpulse verschafft. Die Wirtschaft der Region dürfte dann die weltweit höchsten Wachstumsraten aufweisen.

KLAR IST

Die Gewohnheiten der Menschen werden sich in verschiedenen Bereichen dauerhaft verändern. Dafür hat Corona als GAMECHANGER gesorgt. Dennoch gilt, dass wir auf viele Dinge, die das Leben lebenswert gemacht haben, nicht verzichten wollen. Die Pauschalreise gehört beispielsweise sicherlich dazu. Der Tourismus dürfte sich spätestens 2022 spürbar erholen. Er steht symbolisch für viele andere Branchen und sorgt für einen mehrjährigen Wachstumspfad für Europa. Noch viel stärker wird jedoch China wachsen – nicht zuletzt durch das neu geschlossene Freihandelsabkommen.

ERWARTE DAS UNERWARTETE

In den USA könnte die republikanische Mehrheit im Senat das von Biden angepeilte Konjunkturprogramm blockieren und damit das erhoffte Wirtschaftswachstum bremsen. Und in Deutschland gewinnt eine rot-rot-grüne Mehrheit die Bundestagswahl – die neue Regierung würgt im größten EU-Staat die Konjunktur ab. Die Menschheit tritt in einen Konsumstreik. Die Wachstumsprognosen erweisen sich als viel zu optimistisch. Vor diesem Hintergrund verlieren auch die Börsianer ihre zuversichtliche Stimmung.